Für ein grundsätzliches Verständnis von Funktionsweise, Struktur und Entwicklung dieses fast über 45 Jahre in Betrieb gewesenen Kinderheimes ist der Blick auf die Heimerziehung in der ehemaligen DDR generell wesentlich. Sämtliche Kinder- und Jugendhilfe-Angebote der ostberliner Einrichtungen für Säuglinge, Kinder und Jugendliche unterschieden sich erheblich von den Einrichtungen West-Berlins.
Dies erstreckt sich von Zielvorstellungen, Einweisungsverfahren, Gestaltung bis hin zu anders gelagerten Qualifikationsprofilen der Mitarbeiter in der Heimerziehung. Dies betrifft auch die klare Unterscheidung in Einrichtung für schwer erziehbare Kinder- und Jugendliche sowie Kinder, die ohne erziehungsproblematischen Hintergrund in einem Heim untergebracht waren. Diese Gruppe war in sogenannten “Normalkinderheimen” untergebracht. Zu dieser Kategorie “Normalkinderheim” zählte auch das Kinderheim in der Königsheide. Historischer Rückblick Während der Nachkriegszeit bestand aufgrund von Mangel in allen Bereichen und dem hohen Aufkommen von Kriegswaisen und obdachlosen Kindern- und Jugendlichen rascher Handlungsbedarf.
Im Hauptkinderheim in der Greifswalder Str., Berlin-Prenzlauer Berg, waren hunderte Kinder unter der Heimleitung von Edith Donat untergebracht. Sie selbst war aus dem Exil aus Skandinavien zurückgekehrt – im Gepäck reformpädagogische Ansätze. Sie stößt die schnelle Lösung des Problems der Unterbringung von elternlosen Kindern und Jugendlichen an.
Die Planungen für ein neues Heim mit einer großen Aufnahmekapazität begannen. Zu diesem Zeitpunkt – Anfang der 50er Jahre – standen die Zeichen bereits auf Teilung. Mit der Konzeption des neuen Kinderheimes wurde die Chance gesehen, die notwendige Aufgabe mit weiteren, darüber hinaus gehenden Aspekten zu verbinden. Unter der Maßgabe, Abhilfe der Notlage in Form von Obdachlosigkeit, Mangelernährung, Krankheit sowie Verwahrlosung und Verfestigung von Traumatisierungen zu schaffen, sollte die Errichtung des Kinderheimes in der Königsheide zugleich eine Art “Leistungsschau” der DDR liefern.
Unter dem Duktus der Ausrichtung auf eine neue Gesellschaft hin wurde das Kinderheim mit entsprechenden Zielvorstellungen als Modellvorhaben einer staatlichen Erziehungseinrichtung angelegt. Die Grundsteinlegung erfolgte im Jahr 1952, ab Oktober 1953 erfolgte sukzessive die Belegung aller neu errichteten Gebäude. Das Kinderheim glich einer kleinen Stadt und schaffte Raum für eine Dauerbelegung von bis zu 600 Kindern. Auf dem 12 Hektar großen Areal befanden sich bei der Eröffnung:
- Vier Wohnhäuser
- Schule mit Garten
- Säuglings- und Kleinkinderstation
- Ambulatorium mit Zahnarzt und Röntgenstation sowie
- Einrichtungen für die Bewirtschaftung – von der Nähstube, Großküche bis zum Tiergehege und späteren Zoo.
Zudem kamen im Verlauf Spielgeräte, ein Sportplatz, die Freilichtbühne und ein Planschbecken mit Rutsche hinzu. Es sollten Kinder aus folgenden sozialen Verhältnissen in der Königsheide aufgenommen werden:
- Voll-/Halbwaisen und familiengelöste Kinder;
- Kinder, deren Eltern sich aufgrund von Krankheit, Beruf und Weiterbildung nicht um die Erziehung adäquat kümmern konnten;
- Kinder von Diplomaten;
- Kinder von Angehörigen befreundeter Parteien, wie z. B. KPD, FKP, DUDEH-Partei;
- später kamen Kinder hinzu, bei denen Vernachlässigung und Republikflucht der Eltern als Heimeinweisungsgrund vorlag.
Der Vorzeigecharakter manifestierte sich nicht zuletzt in der aufwändigen Fassadengestaltung mit den sogenannten “Sgraffitos” – einer besonderen Kratzputz-Technik, die von bedeutenden damaligenKünstlern durchgeführt wurde. Sie verleihen dem gesamten Ensemble bis heute ihren charakteristischen Charme. Darüber hinaus wurden Künstler zur Gestaltung von Buntglasfenstern und Plastiken einbezogen, die z. T. noch heute erhalten sind. Auch sollte dieses Vorzeigekinderheim wegweisend sein für die gesamte Heimerziehung in der DDR.
Unter der Federführung von Edith Donat ist die inhaltliche pädagogische Ausrichtung zunächst offen und orientiert an neuen Reformmodellen. Ihre zügige Ablösung gleich in der ersten Anfangszeit des Kinderheimes hat sicher hierin einen ihrer Hauptgründe. An ihre Stelle trat der vielfach als charismatisch erinnerte Heimleiter Günter Riese mit seiner Frau Hanna, die gemeinsam die Leitung des großen Heimkomplexes übernahmen. Es sind die Jahre, die mehrheitlich von den ehemaligen Bewohnern – Heimkindern wie Personal – dieser Zeit als überwiegend positiv empfunden werden.
Es folgen im Verlauf des bis in die Nachwendezeit unter verschiedenen Vorzeichen laufenden Betriebes viele Wechsel – sowohl von Heimkindern, Leitungspersonal, Erziehungs-, Lehr sowie Hauswirtschaftspersonals. Wie sich das Kinderheim mit den Jahren entwickelte, welche Einflussfaktoren jeweils für welche Veränderungen strukturell wie inhaltlich verantwortlich waren, muss Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein.
Glücksfall Königsheide
Im Gesamtkontext “Heimerziehung in der DDR” nimmt das Kinderheim in der Königsheide als Referenzobjekt für Normalkinderheime eine herausragende Stellung ein.
Insbesondere durch Größe, Zielstellung und Entwicklung im zeithistorischen Kontext ist es von elementarer Bedeutung, was die Erlangung von Kenntnissen zum Gesamtthemenkomplex “Heimerziehung in der DDR” anbelangt. Von seiner Anlage und Konzeption als in sich geschlossene, autarke Organisationsform ist die Königsheide hochinteressant. Es gilt zu untersuchen, inwiefern gesamtgesellschaftliche und politische Veränderungen und Vorgaben Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Heimlebens hatten und welche Rückschlüsse hieraus im gesamthistorischen Kontext zu ziehen sind.
Die Vielzahl an Kindern und Jugendlichen, die das Heim durchlaufen haben – sehr groben Schätzungen zufolge über 15.000 – hinzu kommt der immens große Stab an Mitarbeitern – haben die jeweilige Lebenssituation vor Ort geprägt und sie wurden alle durch diese geprägt. Viele – zum Teil höchst tragische – Schicksale sind damit verbunden, die zugleich Auftrag geben, sich um eine profunde Aufarbeitung der Geschichte des ehemaligen Kinderheimes zu bemühen. Inzwischen ist der Betrieb vor Ort – zuletzt fungierte es als Hilfsschulheim und Sozialpädagogisches Zentrum – längst eingestellt. Es folgten Zeiten mit für die Bausubstanz folgenreichem Leerstand. Zu guter Letzt glückte die Übernahme durch einen Würzburger Investor, der die Umwandlung des unter Denkmalschutz stehenden Areals in einen Wohnpark realisiert.
Für die notwendige Umwidmung des öffentlichen Geländes war die Anhörung der Bürger notwendig, zu der wir aus unseren Reihen jeweils vor Ort unsere Anliegen vorgebracht haben. Der Wunsch bestand, am historischen Ort an seine Geschichte und den damit verbundenen Schicksalen Rechnung zu tragen. Ein entsprechender Beschluss der BVV Treptow-Köpenick wurde gefasst.
Aufgabe des IBZ Königsheide
Mit der Einrichtung des IBZ Königsheide ist ein für die Zukunft dauerhaft gesicherter Rahmen geschaffen worden für den Erhalt, das Bewahren und das Öffnen aller Informationen für eine breite Öffentlichkeit und besonders auch für nachwachsende Generationen. Dieser besondere Glücksfall ermöglicht es, den authentischen Ort als Erinnerungsort zu erhalten und mit Leben zu füllen und so der Nachwelt den Zugang zu der Vergangenheit und historischen Bedeutung des ehemals größten Normalkinderheimes und später Hilfsschulheimes der DDR zu ermöglichen. Dieser Aufgabe hat sich die Gründungsinitiative Stiftung Königsheide e. V. verschrieben. Die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung des BER für die geplante Feier zum denkwürdigen 70. Jubiläumstag dieser vielschichtigen, bis heute hoch politischen und schillernden Einrichtung am historischen Ort würde uns sehr helfen, alle Interessierten vor Ort adäquat zu emfangen, Einblick in die Geschichte dieser zentralen Einrichtung der Jugendhilfe der DDR zu ermöglichen und so eine Brücke zu schlagen zwischen seiner bewegten Vergangenheit und heutigen Wirkung als geschichtliches Denkmal.